Menschen(un)würdig
„Der Faire Handel steht dafür, es besser zu machen“, stellt Hannah Radke von Fairtrade Deutschland direkt zu Beginn unseres Gesprächs klar. Es besser machen – das bezieht sich auch auf die Arbeitsbedingungen von Arbeiter*innen des Globalen Südens. Sie sind häufig menschenunwürdigen Bedingungen ausgesetzt. Aber was genau bedeutet das?
Bis zu zwölf Stunden schuften Arbeiter*innen auf Plantagen in Ecuador. Sie schleppen ganze Bananenstauden oder besprühen Kakaopflanzen mit Pestiziden, um sie vor Schädlingen zu schützen. Sie tragen dabei keine Handschuhe und keinen Mundschutz. Die giftigen Chemikalien atmen sie ein, mit teils extremen Folgen für die Gesundheit. Diese können von akuten Pestizid-Vergiftungen bis hin zu chronischen Erkrankungen reichen. Diese Umstände sind Realität für Arbeiter*innen in vielen Ländern und trotz all der Arbeit können sie am Ende weder sich selbst noch ihre Familien ernähren.
Es geht um den Schutz der Menschen
Zu den wesentlichen Bestandteilen von fairen und würdigen Arbeitsbedingungen zählen ein fairer Lohn, geregelte Arbeitszeiten, feste Regeln im Umgang mit Überstunden und Sicherheit am Arbeitsplatz. Auch das Recht auf die Gründung einer Gewerkschaft, um für seine Rechte als Arbeiter*in einzustehen, und das Verbot von ausbeuterischer Kinderarbeit gehören dazu. Es geht vor allem um den Schutz der Menschen. „Sie sollen keinen Schaden durch ihre Arbeit erleiden“, erklärt Hannah Radke. Für uns klingen diese Rechte völlig normal, in den Ländern des Globalen Südens sind sie es jedoch oft nicht. Daher ist es ein Ansatz des Fairen Handels, sich für würdigere Arbeitsbedingungen einzusetzen.
Quelle: Tobias ThieleHannah Radke ist seit drei Jahren Pressereferentin bei Fairtrade Deutschland. Für sie stand schon früh fest, dass sie sich in ihrem Beruf für etwas Sinnvolles einsetzen möchte. Die Organisation macht sich für die Förderung des Fairen Handels und gegen Handelsungerechtigkeit stark. Fairtrade Deutschland unterstützt Handelspartner, die nach den Fairtrade-Standards gehandelte Produkte anbieten, und zeichnet diese mit dem Fairtrade-Siegel aus. Die Standards werden vom Dachverband Fairtrade International festgelegt.
Das wird jedoch dann schwer, wenn die Verfassung eines Landes diese wesentlichen Rechte für Arbeiter*innen nicht zulässt. Für die Gründung einer Gewerkschaft ist beispielsweise die Vereinigungsfreiheit notwendig. In manchen Nationen des Globalen Südens haben die Menschen, laut Verfassung, dieses Recht aber nicht. „Das ist auch der Grund, warum Fairtrade nicht in allen Ländern des Globalen Südens aktiv sein kann. Es wäre falsch zu sagen, dass in diesen Ländern dieselben Standards eingehalten werden können, wie in anderen Ländern“, schildert Hannah Radke das Problem.
Der Fairtrade-Standard, von dem Hannah Radke spricht, ist eine Art Regelwerk, in dem alle Kriterien genannt werden, die Plantagen, Kleinbauernorganisationen und Unternehmen, die mit Fairtrade zusammenarbeiten möchten, erfüllen müssen. Der Standard deckt ökologische und ökonomische Bedingungen ab. Dazu gehören zum Beispiel umweltschonender Anbau und die Bezahlung eines festen Mindestpreises für die gehandelten Produkte. Zusätzlich macht der Standard auch soziale Vorgaben. Zu diesen gehören unter anderem geregelte Arbeitsbedingungen, welche die Situation für die Arbeiter*innen verbesssern, und die Förderung gewerkschaftlicher Organisationen auf Plantagen.
Es ist verrückt, dass wir Produkte zulassen, für die Menschen ausgebeutet werden.
Durch gezielte Aufklärung und Beratung in den betroffenen Ländern versuchen Fairtrade-Organisationen Produzent*innen vor Ort zu unterstützen. Hannah Radke erklärt, dass dies unter anderem durch Schulungen für Arbeitgeber*innen und Arbeitnehmer*innen geschieht und dass ein Gewerkschaftstraining mitfinanziert wird. Denn seine Pflichten und Rechte muss man erstmal kennen, um ihnen nachzukommen beziehungsweise sie einfordern zu können.
„Eigentlich ist es verrückt, dass wir noch immer zulassen, dass es Produkte auf dem deutschen Markt gibt, für die Menschen ausgebeutet werden“, meint Hannah Radke. Umso wichtiger sei es, dafür einzutreten, dass alle Menschen ihrer Arbeit unter würdigen Bedingungen nachgehen können. Der erste Schritt: auf die Situation der Arbeiter*innen aufmerksam zu machen, denn die ist uns in Deutschland oft gar nicht bekannt oder wird verdrängt.
Das Forum Fairer Handel informiert als „die Stimme des Fairen Handels“ ausführlich über verschiedene Thematiken im Zusammenhang mit Fairem Handel und auch über das Motto der Fairen Woche 2021. Das lautet: „Zukunft fair gestalten – #fairhandeln für Menschenrechte weltweit“. Neben Zahlen, Daten und Fakten wird hier auch erklärt, was Fairer Handel eigentlich ist. Ziel des Verbands Forum Fairer Handel ist es, eine stärkere Verbreitung des Fairen Handels zu erreichen. Alle Mitglieder sind Organisationen, die ausschließlich im Fairen Handel aktiv sind. Zu ihnen gehören unter anderem Naturland – Verband für ökologischen Landbau e.V., GEPA – The Fair Trade Company oder GLOBO – Fair Trade Partner.
Faire Preise ermöglichen bessere Bedingungen für die Arbeiter*innen
Neben dem Schutz während der Arbeit gehört auch ein existenzsichernder Lohn zu menschenwürdigen Arbeitsbedingungen. „Preise sind eine zentrale Stellschraube, an der man ansetzen muss. Eine Plantage beispielsweise muss auch in der Lage sein, überhaupt höhere Löhne zahlen zu können“, erklärt Hannah Radke die Zusammenhänge.
Am freien Markt werden Produzent*innen des Globalen Südens allerdings benachteiligt: Mit den Preisen, die sie für ihre Produkte erhalten, können sie oft nicht mal die Produktionskosten abdecken. Indem der Faire Handel den Produzent*innen ihnen Zugang zum Markt sowie langfristige Handelspartnerschaften ermöglicht, sollen sie gestärkt und unterstützt werden. Der Mensch steht dabei im Vordergrund – nicht die Gewinnmaximierung. Gemeinsam wird ein fairer Preis festgelegt, der die Kosten der Produktion und einen fairen Lohn für die Arbeiter*innen möglich macht. Im Rahmen der Zusammenarbeit unterstützen die Fair-Handels-Organisationen außerdem soziale Projekte wie beispielsweise den Bau von Schulen oder Brunnen für sauberes Trinkwasser.
Welche Arbeit steckt dahinter?
Auch wir können helfen, die Arbeitsbedingungen für die Menschen im Globalen Süden zu verbessern, indem wir den Fairen Handel unterstützen. Ein wichtiger Schritt dabei: mehr Wertschätzung und Bewusstsein schaffen. Beim Kauf von Kaffee, Schokolade, Bananen oder sogar Kleidung kann es nicht schaden, für einen Moment innezuhalten und sich zu fragen, wo das Produkt, das man gerade in den Händen hält, eigentlich herkommt. Welche Arbeit steckt dahinter und wer war an der Wertschöpfungskette alles beteiligt? Kann der Preis da überhaupt gerechtfertigt sein oder ist er unrealistisch niedrig?