Sklaverei-Produkte im Supermarkt
Sklaverei ist kein Relikt der Vergangenheit. Weltweit leben und arbeiten immer noch Millionen von Menschen unter derart schlechten Bedingungen, dass sie als moderne Sklav*innen bezeichnet werden können. Warum das so ist – und was das mit dir zu tun hat.
Es ist Sonntagmorgen. Du wachst auf, greifst neben dein Bett und checkst dein Smartphone. Aus der Küche riecht es nach Kaffee und frischen Brötchen. Du ziehst deine Jogginghose an, wirfst ein T-Shirt über und gehst zum gedeckten Tisch: Eier, Avocado und Tomaten stehen dort bereit, vielleicht etwas Lachs zur Feier des Tages. Die Sonne scheint, du genießt den entspannten Morgen – nicht wissend, dass für diesen Moment schon 16 Sklav*innen für dich gearbeitet haben.
Wie ist das möglich, fragst du dich jetzt vielleicht? Unsere globalisierte Wirtschaft ist ein komplexes System und Sklaverei leider immer noch ein Teil davon. Somit ist es durchaus wahrscheinlich, dass auch du Produkte nutzt, die durchmodernen Sklaverei entstanden sind.
Eine kurze Geschichte der Sklaverei
In seiner historischen Bedeutung beschreibt Sklaverei eine Form des Eigentumsrechts, das heißt, Menschen konnten lange Zeit andere Menschen „besitzen“. Dieses Besitzverhältnis war in vielen Kulturen anerkannt oder zumindest toleriert. Es gab Sklaverei von der Antike bis in die Neuzeit. Es gab sie im römischen Reich, im islamisch-arabischen Raum, in Afrika und schließlich, durch die europäischen Kolonialmächte, auch in Amerika. In der Sklaverei zu leben bedeutete in den meisten Fällen, zu harter körperlicher Arbeit gezwungen zu werden, oft unter gefährlichen Bedingungen. Diese Menschen hatten so gut wie keine Rechte, erhielten keinen Lohn. Viele weibliche Sklavinnen wurden zudem sexuell genötigt und missbraucht.
Erst Ende des 18. Jahrhunderts begann ein Umdenken: Es gab Aufstände und Proteste seitens der Sklav*innen, aber auch einiger Verbündeter, die sich aus religiösen oder menschenrechts-motivierten Gründen gegen die Sklaverei auflehnten. Dies war ein langer und oft blutiger Prozess, der bis ins 20. Jahrhundert andauerte. Schließlich beschloss der Völkerbund 1926 den „Sklavenhandel zu verhindern und zu unterdrücken“. Im Jahr 1948 fand eine Ächtung der Sklaverei auch Eingang in die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen (UN) und ein Zusatzabkommen der UN verbot 1956 noch einmal die Sklaverei, den Sklavenhandel und „sklavereiähnlicher Einrichtungen und Praktiken“.
Ist Sklaverei vorbei?
Sklavereiähnlich – der Begriff ist so schwer zu definieren, wie er klingt. Wo fängt Sklaverei an? Wo hört sie auf? Denn obwohl es illegal ist, gibt es Menschen, die in sklavereiähnlichen Verhältnissen leben und arbeiten – auch heute noch, und zwar auf der ganzen Welt.
Als „moderne Sklaverei“ werden alle Praktiken bezeichnet, denen Menschen aufgrund von Drohungen, Zwang, psychischer und physischer Gewalt, Täuschung oder Mangel an Alternativen nicht entfliehen können. Moderne Sklaverei ist also ein Sammelbegriff, der verschiedene Situationen der systematischen Ausbeutung von Erwachsenen, Jugendlichen und Kindern beschreibt.
Ein globales Problem
Da Sklaverei meist im Verborgenen stattfindet, ist es schwer zu erfassen, wo und wie viele Menschen als Sklav*innen gelten. Genaue Zahlen gibt es daher keine. Dennoch hat sich die Walk Free Foundation der Aufgabe verschrieben, weltweit auf den immer noch existierenden Sklavenmarkt aufmerksam zu machen und dagegen vorzugehen. Mit dem Global Slavery Index zeigt sie das gewaltige Ausmaß der Problematik auf: Die Verfasser*innen des Berichts schätzen, dass im Jahr 2016 weltweit circa 40,3 Millionen Menschen in Verhältnissen moderner Sklaverei lebten – das entspricht etwa der Hälfte der deutschen Bevölkerung. Da auch die Zwangsehe zu moderner Sklaverei zählt, sind weibliche Personen deutlich stärker betroffen. Sie machen 71 Prozent der Opfer aus, 29 Prozent sind männlich. Zehn Millionen, also jede*r Vierte, sind Jugendlich oder sogar noch Kinder.
Not macht verletzlich
Es werden verschiedene Formen der Sklaverei unterschieden: Zwangsarbeit, Schuldknechtschaft, Zwangsheirat, Menschenhandel, erbliche Sklaverei, aber auch Kinderarbeit und Kindersoldaten gehören dazu. Prozentual gibt es am meisten Sklav*innen in Nordkorea, Eritrea, Burundi, der zentralafrikanischen Republik, Afghanistan, Mauretanien, Südsudan, Pakistan, Kambodscha und im Iran. Dabei scheinen vor allem zwei Faktoren Sklaverei zu begünstigen: Zum einen, wenn ein Land stark von Konflikt oder Krieg geprägt ist, zum anderen, wenn ein stark repressives Regime herrscht, das staatliche Zwangsarbeit verhängt. Doch auch andere Faktoren wie extreme Armut oder ungleiche soziale Bedingungen können Menschen in die moderne Sklaverei zwingen.
Verbrauchen und Versklaven
Was hat das alles mit uns in Deutschland zu tun? Die Antwort liegt im Konsum. Die wenigsten Dinge, die wir täglich frühstücken, anziehen und zum Googlen benutzen, werden bei uns hergestellt. Sie stammen aus Ländern, in denen Menschen zu ihrer Produktion gezwungen und ausgebeutet werden. Hier sind drei Beispiele.
Kleidung aus Südostasien
Made in Bangladesh – du kennst diese Worte vielleicht von einem kleinen, kratzenden Schild aus deinem T-Shirt. Bangladesch ist eines der wichtigsten Produktionsländer für Kleidung weltweit. Doch obwohl die Herstellung von Hosen, Kleidern und Tops circa 80 Prozent der Export-Einnahmen ausmachen, ist Bangladesch auch eines der ärmsten Länder der Welt. In den knapp 7.000 Fabriken arbeiten hauptsächlich Frauen. Ihr Mindestlohn betrug im Jahr 2019 gerade einmal 63 Euro pro Monat. Er liegt damit immer noch weit unter dem, was diese Frauen eigentlich zum Leben benötigen – ganz zu schweigen von der Versorgung von Haus, Kindern und einem oft arbeitslosen Ehemann. Sexuelle Belästigung und Gewalt sind keine Seltenheit. Den neuen Pullover gibt’s dafür bei uns für 14,99 Euro im Online-Shop. Der Versand ist kostenlos.
Tomaten aus Italien
Cocktail, Roma oder Strauch? Die Auswahl an Tomaten im Supermarkt ist groß. Viele der Sorten stammen aus Südeuropa. Auf den dortigen Plantagen wird zwölf Stunden am Tag gearbeitet, sechs Tage die Woche. Als Entlohnung gibt es rund drei Euro die Stunde, Temperaturen von 40 Grad und Luft, die vergiftet ist mit Pestiziden. Wer lässt sich auf derart menschenunwürdige Bedingungen ein? Menschen, die keine Wahl haben. Viele Geflüchtete, die ihr Heimatland verlassen mussten und es mit dem Boot nach Europa geschafft haben, landen in Italien. Ohne Aufenthaltsgenehmigung und Arbeitserlaubnis, aber mit einem starken Willen zum Überleben, sind sie genötigt, fast jede Arbeit anzunehmen – auch wenn diese an Sklaverei erinnert. Doch nicht nur die Agrarunternehmen in Italien sind verantwortlich. Auch unsere Supermarktketten tragen Mitschuld an den katastrophalen Bedingungen vor Ort. Denn nur mit derart billigen Arbeitskräfte können sie ihre Produkte zu gewohnt niedrigen Preisen anbieten.
Kobalt aus dem Kongo
Kobalt besitzen wir alle. In seiner verarbeiteten Form versteckt es sich in unseren Smartphones, Laptops und Fernsehern. Wo es herkommt, wissen dagegen die wenigsten. 50 Prozent des weltweiten Kobalts stammen aus der Demokratischen Republik Kongo in Afrika. Abgebaut wird es in Minen und Steinbrüchen. Unicef schätzt, dass dort rund 40.000 Kinder arbeiten, um sich und ihre Familien zu ernähren. Mit Spitzhacke und Hammer müssen sie stundenlang auf das Gestein einschlagen, viele von ihnen leiden an Lungenbeschwerden und Ausschlägen. Einen Schutz vor den gefährlichen radioaktiven Strahlen gibt es nicht. Würden diese Kinder in Deutschland leben, wären viele von ihnen gerade einmal in der Grundschule.
Freiheit für alle
Wie kann moderne Sklaverei bekämpft werden? Zum einen können wir bewusster konsumieren. Viele Fair-Handels-Verbände haben Kooperationen mit Produzent*innen, die eine faire Bezahlung und gute Arbeitsbedingungen vor Ort sicherstellen (wie du fair gehandelte Produkte erkennst, erfährst du in diesem Video). Zum Beispiel können wir Schokolade kaufen, die von zertifizierten Fair-Handels-Partnern stammen. Die dafür benötigen Kakaobohnen stammen nicht aus kleinen Kinderhänden, sondern von erwachsenen Arbeiter*innen, die auf den Plantagen einen gerechten Lohn und angemessene Schutzkleidung erhalten.
Dennoch sind unsere Handlungsmöglichkeiten als Verbraucher*innen begrenzt. Es ist notwendig, dass Lieferketten und Transportwege von Unternehmen vollständig sichtbar gemacht werden, um zu erfahren, wo und in welchem Ausmaß Menschen immer noch in moderner Sklaverei arbeiten. Erst dann können spezifische Maßnahmen in der Bekämpfung getroffen und Alternativen geschaffen werden. Das ist dann allen voran Aufgabe der Politik.
Möchtest du selbst herausfinden, wie viele Sklav*innen für deinen Konsum arbeiten? Mach den Test unter slaveryfootprint.org.