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Von einem der auszog, das Handwerk zu retten

Christina, 29 Jahre

Hängematten aus El Salvador, Brotkörbe aus Bangladesch, Ohrringe aus Kolumbien – die GLOBO Fair Trade Partner GmbH ist einer der größten Anbieter von fair gehandelten Handwerksprodukten in Deutschland. Alles begann 1973 mit einem Studenten, der die Welt verbessern wollte. Heute ist der Student 75 Jahre alt. Was bewegt einen Menschen, sich für kleine Handwerksbetriebe im Globalen Süden einzusetzen? Manfred Winkler verrät es im Interview.

Manfred mit der Kooperative Salinerito in EcuadorQuelle: GLOBO
Manfred mit der Kooperative Salinerito in Ecuador

Wie kam es zu deiner Arbeit im Fairen Handel?

Das fing an, als der Begriff Fairer Handel noch gar nicht existierte. Im Jahr 1971 war ich auf Reisen in Südamerika. Dort bin ich mit Leuten in Berührung gekommen, die noch traditionelles Handwerk ausübten – Arbeiten, die zumindest in Mitteleuropa kaum mehr existierten. Ich hatte mir eine Kamera geliehen, um diese handwerklichen Arbeiten fotografisch und filmisch festzuhalten. Bei dieser Arbeit bin ich dann darauf gestoßen, was man Ausbeutung nennt.

Welches Verständnis hattest du vorher von dem Begriff?

Ich habe damals Ökonomie, also Wirtschaft, studiert. An der Uni haben wir unter uns Studenten viel diskutiert, was Ausbeutung bedeutet, alles eher theoretisch. Aber dort, im Nordwesten von Argentinien, habe ich dann mit eigenen Augen gesehen, was Ausbeutung tatsächlich ist: Wie die einheimischen Händler den Weberinnen vor Ort nur die besten Pullover und Decken abnahmen, sie aufforderten die weniger guten Waren selbst zu verkaufen. Unabhängig voneinander haben mich dann mehrere Frauen angesprochen und gefragt, ob ich ihre Waren mit nach Deutschland nehmen und besser dort verkaufen könne.

Was ging dir in diesem Moment durch den Kopf?

Ich war erst skeptisch, das Konzept von Kaufen und Verkaufen entsprach nicht meiner politischen Einstellung: Ich gehöre zur 68er Generation, also politisch mehr links orientiert. Doch für die Frauen war es in diesem Moment eine große Hilfe und ein gutes Geschäft. Ich konnte ihnen im Austausch Dollars geben, eine Währung, die im Gegensatz zum dortigen Peso nicht an Wert verlor, sondern sogar stieg. So hat es also begonnen. Beinahe überraschend könnte man sagen.

Als du von deiner Reise zurückgekehrt bist, wie ging es dann weiter?

In der Schweiz, wo ich studiert habe, gab es eine Buchhändlerin, bei der ich regelmäßig Literatur zu Lateinamerika kaufte. Die sagte mir „Oh sie haben doch was mitgebracht aus Südamerika, geben sie mir das mal, ich verkauf das hier.“ Möglicherweise war das der erste, wenn auch sehr kleine, Fair-Handels-Verkauf in der Schweiz (lacht).

Zurück in Deutschland habe ich einen Verein gegründet, mit dem wir dann die ersten Südamerika-Basare organisiert haben. Sie waren sehr erfolgreich und erzielten weit höhere Erlöse als erhofft – nicht zuletzt, weil Südamerika damals in der Entwicklungspolitik ein großes Thema war und viel diskutiert wurde.

Warum blieb es nicht bei den Basaren?

Ich habe schnell eingesehen, dass solche einmaligen Aktionen zwar sehr erfolgreich sein können, aber ich so für die Produzenten und Produzentinnen vor Ort keine regelmäßige Abnahme kreieren kann. Es wurde klar: Es muss ein Gewerbe sein, es müssen Läden beliefert werden – aber es gab noch keine Weltläden. Also habe ich Boutiquen gesucht, die für solche handgemachten Dinge infrage kamen.

GLOBO bietet heute Produkte aus der ganzen Welt. Wie hast du es geschafft, dein Netzwerk an Partner*innen zu erweitern?

Ich habe durch die Tätigkeit im Verein und als Aussteller auf Messen viele Kontakte knüpfen können. Irgendwann bekam ich sogar Anfragen von der argentinischen und mexikanischen Botschaft. So kam es, dass ich zum Beispiel für Werbeaktionen in Verbindung mit der Fußball-Weltmeisterschaft 1978 in Argentinien Produkte von dort organisierte. Ender der 1970er Jahre kamen dann die ersten Weltläden hinzu. GLOBO als Unternehmen gab es aber erst relativ spät. In der ersten Zeit war ich eher eine One-Man-Show; ich wollte nie ein Geldgeschäft daraus machen. Mein Ziel war eine Konkretisierung der politischen Arbeit, also Handel als Brücke hin zu politischem Denken.

Was hatte sich geändert?

Es war 1984, ich hatte inzwischen geheiratet, und unser erstes Kind war unterwegs. Ich dachte mir, jetzt darfst du nicht nur Geld verdienen, jetzt musst du sogar (lacht). Schließlich beschloss ich mit GLOBO auch bundesweit aufzutreten. Es gab dann den ersten Katalog und der war ein großer Erfolg.

Liliana bei der Herstellung einer Uhr in KolumbienQuelle: GLOBO
Liliana bei der Herstellung einer Uhr in Kolumbien

So viel zur Geschichte GLOBOs in Deutschland und der Schweiz. Könntest du beschreiben wie eure Partnerbetriebe vor Ort heute arbeiten?

Ein Beispiel ist die Metallverarbeitungswerkstatt Oxidos in Bogotá, die Uhren und andere Dekoartikel herstellt. Wir haben damals in Kolumbien viele Kinder und Jugendliche getroffen, die auf der Straße Alteisen gesammelt haben. Von den Schrotthändler*innen, denen sie das Eisen brauchten, bekamen sie jedoch nur einen Hungerlohn. Heute können sie das Eisen zu Oxidos bringen, denn dort wird ihnen eine bestimmte Mengenabnahme garantiert. Oxidos nutzt diese Altmetallteile für ihre Uhren.

Die Uhren kamen sehr gut in Deutschland an, sodass der Betrieb wachsen und mittlerweile 30 Mitarbeiter*innen beschäftigen kann. Wir bekamen sogar Anfragen aus einigen Städten, ob man Produkte mit deren typischen Monumenten fertigen könne. So gibt es jetzt Uhren mit der Schwebebahn aus Wuppertal oder mit dem historischen Kaufhaus in Landau.

Die meisten unserer Partnerwerkstätten produzieren natürlich nicht nur für uns. Im Gegenteil, wir unterstützen es, wenn ebenfalls Absatz im Herkunftsland hergestellt wird und erhalten bleibt – das macht die Betriebe unabhängiger und gibt ihnen zusätzliche finanzielle Sicherheit.

Manfred und seine Frau Myoung-Hee beim WFTO SummitQuelle: GLOBO
Manfred und seine Frau Myoung-Hee beim WFTO Summit

Es gibt verschiedene Kriterien, die ein Betrieb erfüllen muss, um überhaupt als Fair-Handels-Betrieb bezeichnet zu werden und seine Waren über GLOBO anbieten zu können. Wer kontrolliert die Einhaltung dieser Kriterien?

Am einfachsten ist es, wenn dieser Betrieb bereits Mitglied der World Fair Trade Organization (WFTO) ist oder zumindest in einem nationalen Fairtrade Netzwerk verankert ist, wie Fairtrade India oder Peru.

Und wenn das nicht der Fall ist?

Wir wurden von der WFTO aufgefordert, unsere Lieferanten-Werkstätten zu nennen, die keine Mitglieder in einem Fairtrade-Verband sind. Dann hat die WFTO Prüfer*innen losgeschickt, um stichprobenartig fünf dieser Werkstätten zu beurteilen – alle Kriterien waren erfüllt. Außerdem gucken wir uns immer auch selbst die Verhältnisse vor Ort an. Natürlich bei neuen Leuten, aber auch bei Betrieben, die wir schon länger kennen.

Was sind andere typische Herausforderungen, die ihr als Fair-Handels-Organisation zu meistern habt?

Zum einen haben wir es oft mit bildungsmäßig einfachen Leuten zu tun. Die meisten können lesen und schreiben, aber die Kommunikation gestaltet sich trotzdem manchmal schwierig und etwas holprig. Nicht selten gibt es außerdem technische Schwierigkeiten: die Telefonverbindung ist schlecht, oder die Leute haben nicht genügend Geld, um ihr Handy-Guthaben aufzuladen. Auch die Logistik ist eine Herausforderung: Wenn ein Container mit Produkten aus verschiedenen Werkstätten verschickt werden muss, eine der Werkstätten aber nicht pünktlich liefern kann, fallen für diese Wartezeit des Containers zusätzliche Gebühren an oder Dinge müssen per Luftpost nachgeschickt werden.

Hat das traditionelle Handwerk in der heutigen Zeit denn überhaupt noch eine Chance? Bedeuten maschinelle Fertigung und Digitalisierung nicht eine große Gefahr?

Die Gefahr ist nicht nur da, sie hat das Handwerk komplett verdrängt. Ich denke aber schon, dass das Handwerk noch eine Chance hat. Eine kleine, aber an der können wir arbeiten. Produkte echter Handwerkskunst sind und bleiben eben absolut einzigartig und sind nicht vergleichbar mit Massenfertigungen.

Du scheinst eine echte Passion für das Handwerk zu haben.

Ja das stimmt. Dieser Gedanke, das Handwerk zu erhalten, war schon immer in mir drin, das bin ich.

Obwohl wir nur telefonieren, höre ich ein Lächeln aus Manfreds Worten heraus. Fast 50 Jahre sind seit der Gründung von GLOBO vergangen. In Zukunft wird seine Tochter das Geschäft übernehmen und er dieses damit an die nächste Generation weitergegeben. GLOBO ist also auch ein echter Familienbetrieb – genau wie viele der Partner-Werkstätten, mit denen GLOBO auf der ganzen Welt zusammenarbeitet.

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