Die Frage der Gerechtigkeit in einer Welt voller Lösungen
Was bedeutet Klimagerechtigkeit für mich? So lautet die Grundfrage dieses Blockbeitrags. Denn spätestens seit der Fridays-for-Future-Bewegung ist klar: „What do we want? Climate Justice!“
Mein Problem – als jemand, der sich seit der Schulzeit für den Fairen Handel engagiert, als Mutter, die an die Zukunft ihrer Tochter denkt, als Mensch, der versucht, sein Leben in den Dienst für den Wandel zu stellen – ist die Wut. Und darum kann – und will – ich hier keinen sachlichen Bericht schreiben. Sondern ich will bei der Wut und Traurigkeit und Ohnmacht anfangen, die ich im Angesicht der Klimakrise spüre. Und ich sage bewusst KlimaKRISE. Denn die Verniedlichung im Wort „Klimawandel“ schürt meine Wut nur noch mehr. Wut empfinde ich vor allem deshalb, weil wir seit 50 Jahren, seit dem Bericht des Club of Rome 1972, wissen, dass sich etwas ändern muss. Aber stattdessen wird in der Politik immer noch diskutiert und debattiert, als ob sich mit der Klimakrise verhandeln ließe. Eine Geschwindigkeitsbegrenzung auf Autobahnen in Deutschland wird abgelehnt. Der Kohleausstieg wird hinausgezögert. Und im Privaten scheint es nur ein Mantra zu geben: konsumieren, konsumieren, konsumieren. Traurig bin ich deshalb, weil ich mir vorstelle, wie viele Lebewesen unter dieser Verantwortungslosigkeit und Rücksichtslosigkeit zu leiden haben. Und hier ebenfalls sehr bewusst: Lebewesen. Nicht nur Menschen, sondern Tiere, deren Lebensraum zerstört wird, Pflanzen, die aussterben, ganze Ökosysteme, die kaputt gehen. Und ohnmächtig fühle ich mich im Angesicht der überwältigenden Komplexität, den vielen kleinen und großen Katastrophen, die sich jetzt schon ereignen oder für die Zukunft abzeichnen. Denn wie soll ich, als einzelner Mensch, dagegen etwas unternehmen können?
Aber aufgeben kommt für mich auch nicht in Frage. Das bringt mich zurück zur Ausgangsfrage: Was bedeutet Klimagerechtigkeit für mich? Wenn ich als Bildungsreferentin für Vorträge oder Workshops an Schulen oder in der Öffentlichkeit gehe, erkläre ich Klimagerechtigkeit immer erst ganz sachlich über ihr Gegenteil: „KlimaUNgerechtigkeit ist es, dass diejenigen, die am wenigsten zur Klimakrise beitragen, ihre Folgen am meisten zu spüren bekommen und sich am wenigsten dagegen wehren oder absichern können.“
Aber was bedeutet das konkret, wie fühlt es sich an, dem so schutzlos ausgeliefert zu sein? Um das zu begreifen, spielen wir ein Spiel – es ist nicht von mir erfunden, aber ich mag es sehr. Es geht so: Konzentriere dich auf dich. Überlege dir, wie dein Tag aussieht. Wie wachst du auf, was frühstückst du? Wie verbringst du die Zeit zwischen Aufstehen und Bettgehen? Welche Sorgen trägst du mit dir rum? Wer oder was passt auf dich auf und bildet ein Sicherheitsnetz für dich? Dann beantworte folgende Fragen für dich: Hast du ein Bett zum Schlafen und ein Dach über dem Kopf? Gibst du insgesamt nur wenig von deinem Geld für Essen aus? Kannst du mit deinem Pass problemlos in fast jedes Land dieser Welt reisen? Kannst du deine Meinung frei äußern ohne Angst vor politischer Verfolgung zu haben? Im Angesicht der Klimakrise: Kannst du Maßnahmen ergreifen, um dich gegen die Folgen der Klimakrise abzusichern oder im Falle von Katastrophen Reparaturen zu bezahlen?
Die Liste der Fragen ließe sich noch beliebig weiterführen. Vielleicht fallen dir sogar selbst welche ein? Wie viele der Fragen konntest du mit „Ja“ beantworten?
Nun versetze dich so gut es geht in einen anderen Menschen: Eine Kaffeebäuerin aus Ruanda, einen Wanderarbeiter aus Burkina Faso, eine Näherin in Indien und spiele das ganze Spiel noch einmal: Unter welchen Umständen lebt dieser Mensch? Wie viele Fragen kannst du nun mit Ja beantworten?
Das wusstest du schon, dass wir hier privilegierter leben? Dass wir im Schnitt ein Leben in Wohlstand und Sicherheit führen? Ja, wusste ich auch schon davor. Aber ich finde es dennoch immer eindrücklich, sich da wirklich hineinzufühlen, sich das so bildhaft vor Augen zu führen.
Und an dieser Stelle kommt für mich der Faire Handel ins Spiel: Denn von Anfang an ist das Ziel des Fairen Handels, gemeinsam auf mehr globale Gerechtigkeit hinzuarbeiten. Und kaum jemand hat das Thema Klimakrise so früh auf die Agenda gesetzt, wie der Faire Handel. Es geht nicht darum, Spenden zu sammeln, zu helfen, sich als Retter*innen der Welt aufzuspielen. Es geht darum, sich für weltweite Gerechtigkeit einzusetzen und die ist im Angesicht der Klimakrise wichtiger denn je.
Der Faire Handel tut jedoch nicht nur das: Nicht nur, dass er den Millionen Produzent*innen und Kleinbäuer*innen weltweit Gehör verschafft, ihre Gesichter aus der Anonymität des Welthandels hervorhebt. Er zeigt auch zahlreiche kleine Lösungen auf, was Menschen weltweit gegen die Klimakrise unternehmen und wie wir gemeinsam mit unterschiedlichsten Projekten gegen die Klimakrise aktiv werden. Nicht die aus dem „Globalen Norden“ und dem „Globalen Süden“, nicht die „aus Deutschland“ und aus „anderen Ländern“, sondern wir gemeinsam. Durch Aufforstungsprojekte mit Mangobäumen, durch gesegelten Kaffee aus Nicaragua, durch wildgesammelte Urwaldpflanzen zum Schutz und Erhalt der Regenwälder, durch das Upcycling von Plastik, Altmetall und durch so viele weitere Projekte. Macht das nicht Mut, zu sehen, dass sich an so vielen Stellen weltweit etwas bewegt? Schürt das nicht die Hoffnung, dass wir mit diesen tausenden Schritten, und sind sie auch so klein, doch noch den Weg meistern – hin zu einer global gerechten, zukunftsfähigen Einen Welt?
Und motiviert es nicht? Wenn Menschen überall auf der Welt einen Beitrag zum Klimaschutz leisten, dann kann ich doch bestimmt auch noch mehr tun, oder? Und sei es nur, einmal das Auto stehen lassen und mit der Bahn fahren. Oder mich beim Shopping fragen: Brauche ich das wirklich oder geht es nicht auch anders, nachhaltiger oder fairer?